Der Tag der deutschen Einheit findet am selben Tag statt, wie der Tag der offenen Moscheen.
An dem Feiertag wird an die deutsche Wiedervereinigung gedacht und gleichzeitig laden Moscheen in ganz Deutschland zum interkulturellen Dialog ein.
Doch es ist nicht die einzige Gemeinsamkeit die Ostdeutsche und Muslime miteinander haben. Laut einer Studie des DeZIM Instituts (Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung) ähneln sich beide mehr als gedacht. Die Studienautorin Naika Foroutan stellte zum einen fest, dass „Ostdeutsche mit ähnlichen Abwertungen konfrontiert sind wie Muslime“. Zum anderen sehen Ostdeutsche Gemeinsamkeiten mit Muslimen.
So finden 41,2 % der Westdeutschen, dass Ostdeutsche sich ständig als Opfer stilisieren. Für Muslime liegt der Wert bei 36,5 %. Auch sollen „sie sich nicht genug vom Extremismus distanzieren (Musl. 43,3 % und Ostdt. 37,4 %) und noch nicht im heutigen Deutschland angekommen sein, womit beide Gruppen stereotypisiert und migrantisiert werden.“
Ostdeutsche sehen Gemeinsamkeiten mit Muslimen
Ostdeutsche wiederum „sehen sich aber auf gleicher (unterer) Stufe wie Muslim*innen als Bürger zweiter Klasse benachteiligt und mit Leistungshürden und Positionsschranken konfrontiert.“
Dabei betrachten 35,3 % der Ostdeutschen sich und zu 33,8 % Muslime sich als Bürger zweiter Klasse. Jeder 2. hat die Ansicht, wie Migranten mehr leisten zu müssen, um etwas zu erreichen.
Außerdem haben Muslime und Ostdeutsche einige identische sozio-ökonomischen Merkmale. So sind sie öfter von Arbeitslosigkeit betroffen, verfügen über ein geringeres Nettoeinkommen und besetzen viel seltener Spitzenpositionen.
Laut dem Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit, ist „die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland seit dem Höchststand im Jahr 2005 mit 18,7 Prozent um über 12 Prozentpunkte auf 6,4 (August 2019) zurückgegangen“ und liegt mittlerweile fast auf West Niveau. Doch liegt die Arbeitslosigkeit wie die der Muslime immer noch über den Schnitt des Westdeutschen (4,8 %). Des Weiteren befinden sich 8% mehr Ostdeutsche und 10% mehr Muslime in der untersten Einkommensgruppe.
Ein überwundener Systemwechsel mit Nachhall?
Mit dem Zusammenbruch der DDR wurde die damalige Treuhandanstalt mit der Integrierung der ostdeutschen Produktionsstätten in den kapitalistischen Marktwettbewerb beauftragt. Die nicht wettbewerbsfähigen Unternehmen gingen Konkurs, wurden abgewickelt oder privatisiert und gehörten plötzlich westdeutschen Investoren. Die Folge waren Massenarbeitslosigkeit und der soziale Abstieg einer gesamten Bevölkerung.
Dadurch entstand auch der Mythos, dass der Westen die Industrie im Osten zerstörte, um einen Niedriglohnsektor zu etablieren, der günstig Waren für westdeutsche Unternehmen produziert. Dieser wahrgenommene Missbrauch und Vertrauensbruch hallt bis heute nach.
Ein weiterer Aspekt ist die Einführung der Agenda 2010. Es ermöglicht nach 12 Monaten Erwerbslosigkeit in den gleichen sozialstaatlichen Absicherungsstatus abzurutschen wie ein Flüchtling und das unabhängig von den bisherigen Lebensleistungen und Entbehrungen.
Diesbezüglich konstatiert die Studie des DeZIM: „Der Wertverlust der eigenen Lebensleistung und die fehlende Anerkennung aus dem Westen führt zu Abwertungsprozessen.“ „Das Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein, weist auf mangelnde intersubjektive Anerkennung und empfundene Ungleichbehandlung innerhalb der Gesellschaft hin, die zu Frustration und Konflikten führen kann.“
Das äußert sich in der Einstellung gegenüber Muslimen und dem System. Dadurch wird in den neuen Bundesländern potenziell rechtspopulistisch gewählt, da die AfD scheinbar Lösungen anbietet, indem sie Zuwanderung begrenzen will und eine Alternative zum bestehenden System beansprucht.
Ost und Westdeutsche bewerten Muslime unterschiedlich
Trotz der Gemeinsamkeiten werden Muslime von Ostdeutschen negativer bewertet als von Westdeutschen. Während im Westen 58,6 % die Muslime in Deutschland nicht angekommen ansieht, sind es im Osten 66,6 %. Hinsichtlich der Religionsfreiheit „finden 43,9% der Ostdeutschen und ca. ein Drittel (30,3%) der Westdeutschen, dass die Ausübung des islamischen Glaubens in Deutschland eingeschränkt werden sollte.“
„West- und Ostdeutsche fühlen sich durch potenzielle soziale Aufstiege von Muslim*innen bedroht, da dies dazu führen könnte, dass diese mehr Forderungen stellen, wodurch der eigene soziale Status oder die soziale Position infrage gestellt werden.“ Aber in Ostdeutschland lässt sich eine höher wahrgenommene Bedrohung vernehmen, denn die Aufstiegsabwehr gegenüber Muslimen ist bei Ostdeutschen um 15,6 % größer.
Dazu trägt zum einen das Gefühl mangelnder eigener Anerkennung bei, zum anderen zeigen Studien, dass AfD-Wähler im Osten oft der unteren Mittelschicht angehören und in ihrem Erwerbsleben bereits von Arbeitslosigkeit betroffen waren. Nach dem Jahresbericht ist „durch den Geburtenknick nach 1990 und die – mittlerweile gestoppte Nettoabwanderung das Durchschnittsalter in den ostdeutschen Ländern höher als im Westen.“ Im Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit und der Altersstruktur gibt es im Osten viele, die bereits im erwerbsfähigen Alter waren als sie nach der Wende arbeitslos wurden. Dementsprechend groß ist der Bevölkerungsanteil dieser Kohorte, die nicht nochmal einen Statusverlust erleben möchten.
Des Weiteren wird auf dem Arbeitsmarkt in der unteren Mittelschicht, der wahrgenommene Druck durch Migranten stärker empfunden. Migranten können die nötigen Fähigkeiten für diesen Arbeitsmarkt relativ schnell erlangen und werden als Konkurrenz angesehen. Hinzu kommt die Sorge bei Langzeitarbeitslosigkeit in den sozialstaatlichen Status eines Flüchtlings zu rutschen.
Aus dieser Perspektive ist das Wahlverhalten einiger ostdeutscher Bürger auch eine Reaktion auf die Angst eines Statusverlustes, mit dem Ziel die Verschiebung der gesellschaftlichen Hierarchie zu verhindern.
Warum Fremdenfeindlichkeit unproduktiv ist
Die ostdeutsche Wirtschaftsleistung liegt inzwischen bei 75% der westdeutschen Leistung und damit im EU-Durchschnitt. Nach dem Jahresbericht seien „in den neuen Ländern Unternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien, Umwelt- und Energietechnologien überdurchschnittlich stark vertreten und in zunehmendem Maße bedeutsam für die wirtschaftliche Entwicklung.“
Jedoch sehen sich diese einem wachsenden Mangel an Fachkräften gegenüber. „Die im Vergleich zum Westen Deutschlands ungünstigere Altersstruktur und die in vielen ostdeutschen Regionen geringere Siedlungsdichte begrenzen bereits heute die Zahl der Fachkräfte, die der Wirtschaft zur Verfügung stehen.“ Außerdem „ist die Fachkräftezuwanderung aus dem Ausland deutlich geringer als in Westdeutschland.“ Daher liegt es im eigenen Interesse der Menschen im Osten Fremde mit offenen Armen zu empfangen. Fremdenfeindlichkeit dagegen schade wirtschaftlicher Weiterentwicklung.
Das Gefühl Bürger 2. Klasse zu sein, strukturelle Nachteile und die Wahrnehmung, dass Migranten als Konkurrenten den sozialen Status bedrohen sind Mitverursacher von Fremdenfeindlichkeit.
Trotz der wirtschaftlichen Fortschritte warnte der Ostbeauftragte Christian Hirte (CDU) „Bei allen guten Meldungen ist auch klar, dass wir noch nicht am Ende des Weges angekommen sind.“ Dazu gehört es auch, auf dem weiteren Weg, Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen, um Muslime und Deutsche zu vereinen, wodurch vor allem Ostdeutschland nicht nur wirtschaftlich profitieren würde.
Dabei könnte der Tag der offenen Moscheen der erste Schritt auf dem Weg sein, die kulturellen Abwehrreflexe in Ostdeutschland zu entschärfen.