Wir kommen nicht als Rassisten auf die Welt

Juni 28, 2020
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Der Mord an George Floyd durch einen Polizisten sorgte für weltweites Entsetzen und war seitdem nicht das letzte Opfer rassistischer Polizeigewalt. Es ist nichts Neues, dass ein weißer Polizist in den USA einen Schwarzen tötet und daraufhin landesweit mit teilweise gewalttätigen Protesten reagiert wird. Doch diesmal schlagen die Wellen höher. Weltweit mobilisiert sich der Protest gegen den Rassismus. Doch wo setzt man an, um Rassismus zu bekämpfen?

Rassismus hat viele Formen. Angefangen von (un-)bewussten Vorbehalten und Alltagsrassismus bis hin zum systematisch-institutionellen Rassismus.

Zunächst einmal kommen wir nicht mit Ressentiments oder gar als Rassisten auf die Welt. Wir bekommen beigebracht: „Wir sind so, die anderen sind so“. Menschen leiten ihre Identität unter anderem aus ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe ab. Menschen streben danach sich in Assoziation mit ihrer Gruppe positiv zu bewerten. Da der Wechsel in eine andere Gruppe nicht ohne weiteres möglich ist wird die eigene Gruppe positiver bewertet als andere Gruppen. Das führt gleichzeitig zur Abgrenzung zu anderen Gruppen. Welche Ausmaße die Bewertungen und Abgrenzungen annehmen, ist oft abhängig vom sozialen Milieu, in dem sich jeder Einzelne bewegt. Extreme Formen sind Chauvinismus, Xenophobie und Rassismus.

Diese Interpretationsmuster, die von der Gesellschaft unbewusst sowie auch bewusst getragen werden, wirken auf den Einzelnen, der dann Menschen anhand kultureller und ethnischer Unterschiede in Gruppen einsortiert und bewertet. Es ist ein Sozialisierungsprozess, den ein Mensch im Laufe seines Lebens erfährt.

Im Alltag zeigt es sich beim subtilen Rassismus in Schulen, beim Bäcker und selbst im Freundeskreis. Einigen Menschen ist nicht mal bewusst, dass sie sich rassistisch äußern. Es sind teilweise Sätze wie: „in eurer Kultur ist es doch so und so…“, oder Fragen wie „woher kommst du wirklich?“, „trägst du das Kopftuch freiwillig?“. Diese Sätze bedienen sich nicht selten an negativen Ressentiments gegenüber der anderen Gruppe.

Menschen identifizieren sich bereits mit ihrer Gruppe. Warum dann auch nicht mit dem, mit der Gruppe behafteten Stigmata, ob freiwillig oder nicht. So finden Ressentiments ihren Weg zurück in die Gesellschaft. Das Stigma wird zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

Findet das System der Stigmata, also die Interdependenzen zwischen der Gruppe und des Einzelnen, Eingang in einen gesellschaftlichen Institutionalisierungsprozess, kann das zu weitreichenden Schwierigkeiten führen. Ist Rassismus in gesellschaftlichen Institutionen erst einmal etabliert, so wird es schwer diesen zu bekämpfen.

Ein Beispiel ist das amerikanische Sozialsystem. In mehreren Studien wird die Arbeitsmoral- und Ethik von Afro-Amerikanern negativer wahrgenommen als von Weißen. Das suggeriert unter Umständen, dass die hohe Armut unter Afro-Amerikanern selbst verschuldet sei und senkt die Bereitschaft der breiten Bevölkerung für den ärmeren Teil der Bevölkerung, überwiegend „People-of-color“ mittels eines breiteren Sozialstaats, solidarisch Einstehen zu wollen. Letztlich beeinflussen Ressentiments institutionalisierte Handlungen, die im Sozialsystem eingebettet sind.

Die Folgen sind bleibende Armut, geringere Bildungschancen und letztendlich Perspektivlosigkeit, die mir hoher Wahrscheinlichkeit zu einer erhöhten Kriminalität führt. Die Mehrheit der Gefangenen in den USA sind nicht Weiße und die meisten Morde werden unter Afro-Amerikanern verübt. Dadurch wird eine vollkommen verzerrte ständige Gefahr durch den „schwarzen Mann“ suggeriert. Eine Stigmatisierung einer ganzen Bevölkerungsgruppe führt zu Vorbehalten bei Polizisten, die wiederum mit vermehrten Polizeikontrollen „Racial-Profiling“ reagieren, wodurch sich Afro-Amerikaner ungerecht behandelt fühlen und der Polizei misstrauen. Dadurch steigt die Zahl der Verhaftungen und die Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten.

Gesellschaftliche Ressentiments gegenüber Afro-Amerikanern, werden auf den Polizeidienst projiziert und führen potenziell zu rassistischen Handlungen. Dieses Schema findet Eingang als institutionalisiertes Rassismus-Problem innerhalb der amerikanischen Polizei.

In Deutschland ist der institutionelle Rassismus nicht so ausgeprägt wie in den USA. Doch darauf darf man sich nicht ausruhen, gerade weil Migranten und andere Minderheiten immer noch mit Fremdenfeindlichkeit zu kämpfen haben.

Das Migranten, die ab den 1960er Jahren in die Bundesrepublik kamen, inzwischen in der dritten/vierten Generation hier heimisch geworden sind, ein elementarer Teil der Gesellschaft sind, wurde erst kurz vor der Jahrtausendwende anerkannt. Bis dahin kümmerte sich der Staat nicht um die Integration und begünstigte so die Exklusion.

Hier schlägt die systematische Benachteiligung gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund Wurzeln. Die frühe Selektierung in den Schulen und die potenziellen (Human-)Kosten für ein Studium oder Nachhilfe wurden für Migranten mit teils rudimentären Deutschkenntnissen sowie geringerer kultureller und finanzieller Ressourcen zum Nachteil. Obwohl Menschen mit Migrationshintergrund seitdem massiv aufgeholt haben, verlassen sie immer noch die Schule häufiger ohne Schulabschluss, machen seltener das Abitur, verdienen weniger Geld und sind häufiger abhängig von Sozialleistungen. Diese gruppenspezifischen Merkmale manifestieren sich als negative Assoziationen, die von Individuen gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund gebildet werden und sich in Ressentiments oder sogar offener Ausländerfeindlichkeit ausdrücken. Aufgrund der Stigmatisierung müssen sich Menschen mit exotischen Nachnamen dreimal häufiger bewerben, um eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle zu erhalten oder müssen für die Gymnasialempfehlung höhere Leistungen erbringen als ihre Mitschüler.

Um der institutionalisierten Diskriminierung ein Ende zu setzen, gilt es neben dem Rassismus in der Gesellschaft auch sich selbst zu hinterfragen, um den eignen Vorbehalten auf den Grund zu gehen. Sobald die Ursachen eigener Vorbehalte erkannt werden, besteht die Chance Empathie mit Opfern rassistischer Diskriminierung zu ermöglichen. Das ist eine Grundvoraussetzung, um Rassismus tatsächlich als gemeinsames gesellschaftliches Problem wahrzunehmen.

Nach den Anschlägen auf die muslimische Gemeinde in Neuseeland sagte Premierministerin Jacinda Ardern in etwa: „…Sie sind wir…“. In dem Sinne: Greifen wir einen Mitmenschen rassistisch an, greifen wir uns selbst an.

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