Der Karneval und die Muslime

Februar 23, 2020
Foto: Ü.Bilir/Aalst Carnaval (Belgien)
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Seit drei Jahren beobachte ich im Rahmen eines Fotoprojekts Menschen im Karnevalrausch. Selbstverständlich fokussiere ich mich nicht nur auf die Karnevalisten, sondern ich nehme auch die Zuschauer unter der Lupe. Während die europäisch-einheimischen Zuschauer regelrecht mit den Karnevalsgruppen mitfiebern, sind die Gefühle der Menschen mit Migrationshintergrund sehr unterschiedlich: Euphorie, Zuneigung, Neugier, Schreck, Ekel und sogar Abscheu. Soweit ich die Muslime aus unterschiedlichen Herkunftsländern und speziell die aus der Türkei stammenden (anatolischen) Menschen beim Karneval begegnen konnte, habe ich sie natürlich nach ihrer Meinung zum Karneval gefragt.

Einer dieser Menschen war ein Haci, der mittlerweile seit zwanzig Jahren in einer Karnevalhochburg Europas, nämlich in Aalst/Belgien lebte. An dem Tag war Haci zufällig am Ort des Geschehens und betrachtete das Ganze als ein Affentheater und brachte seine Abneigung gegen den Karneval unmissverständlich zum Ausdruck: Er selbst hätte im Karneval nichts zu suchen, aber es gebe wohl einige „schamlose Kerle“ auch unter den Türken, die sich wie eine Frau verkleideten und noch dazu tanzten.

Was Haci sagte, offenbart eine Denkweise, die unter den Menschen Anatoliens, die nahezu aus vierzig Untergruppen bestehen und ethnisch-religiös sehr unterschiedlich sind, weit verbreitet ist. Diese Denkweise, die das Desinteresse anatolischer Menschen am Karneval mitprägt, resultiert sich nicht unbedingt aus dem Islamischen Glauben. Sie ist eher mit den Werten verbunden, die auf die ethnische und konfessionelle Vielfalt Anatoliens beruhen. Aus diesem Grund beherbergt sie auch eigene Moralvorstellung sowie eine differenzierte Auslegung der Religion. Während zum Beispiel einige muslimischen Menschen mit anatolischen Wurzeln selbst das Wort „Schwein“ nicht im Mund nehmen und eher vom „Fleisch des unreinen Tiers“ reden, trinken sie aber gern Raki und türkische Weine, obwohl der Alkoholkonsum eine Sünde von gleicher Art im Islam ist. Noch krasser kommt es vor, wenn es um die blonden Frauen Europas geht. Obwohl viele Männer aus dem anatolischen Kulturraum im hohen Alter gern nach Mekka pilgern, sind sie dennoch stolz auf ihr damaliges Abenteuer mit europäischen Blondinen. Gern und stolz geben sie auch Ratschläge an die noch Unerfahrenen, wobei das uneheliche Sex sowohl für die Männer als auch für die Frauen eine der folgenschweren Sünden im Islam gilt. Diese Type des anatolischen Mannes erteilt auch Lexikon, wenn es um den Kodex der Männlichkeit geht, sowohl im sexualen als auch im sozialen Sinne versteht sich. Dass irgendetwas dem Islam zufolge verboten ist, gewinnt für sie dann eine Bedeutung, wenn das Verbot mit den traditionell-anatolischen Werten und Moralvorstellungen überschneidet:  Im Kopf dieses anatolischen Mannes lautet das Motto in diesem Kontext dann ungefähr so: Ekel vor dem Schweinefleisch aber Sehnsucht nach dem Körper der Blondinen.

Kann man von diesen Männern etwa erwarten, dass sie Hüfte schüttelnd, twerkend, singend im Karnevalzug weiterziehen?  Ist es vorstellbar, dass eine/r oder andere/r Künstler/in die angesehenen Politiker des Heimatlandes durch die „unmoralisch-perversen“ Karnevalpuppen/Devisen lächerlich machen? Oder kann man sich überhaupt mit den heilig-nationalen Werten satirische Art und Weise amüsieren?  Die möglichen Antworten auf derartige Fragen geben uns schon einen Ausschlag, warum die anatolischen Menschen in Deutschland oder in anderen Karnevalländern Europas dem jährlichen Spektakel fernbleiben. Der stolze Mann Anatoliens übernimmt gern die Rolle eines starken Bosses, der sich im schicken Business Casual-Anzug und im schwarzen SUV wohl fühlt, taugt er absolut nicht als tanzender Karnevalclown. Selbstverständlich lässt er seine Schwester, Tochter oder Frau auch nicht auf dem Karnevalwagen tanzen.

Damit ist aber die quasi Non-Präsenz der Muslime beim Narrenzug noch nicht aufgeklärt. Es ist alleine nicht die Ehre- und Wertvorstellung anatolischer Männer, die den Karneval ein ödes Land für die Muslime machen. Der Grund dafür ist einfach und simple: Das Geld

Nicht alleine die Anatolier, sondern auch andere Muslime mit unterschiedlicher Herkunft sprengen die Grenzen der Tabus erst, wenn es Geld bringt. Deshalb sind die Prostituierten und die „coolen Zuhälter“ mit muslimischem Hintergrund keine Seltenheit im Rotlicht Milieu. Weil die Prostitution und Zuhälterei Millionen von Euros bringt, kommen manche Frauen und Männer mit dieser „ehrenlosen“ Rolle leichter zurecht als die des armen Karnevalclowns. Außerdem muss man ja für einen Karnevalwagen auch tief in die Tasche greifen. Warum soll man viel Geld, Zeit und Mühe investieren, um am Ende ausgelacht zu werden? Darüber hinaus sprechen muslimische Jugendlichen nicht die Sprache, nämlich die der Satire, Ironie und raffinierten Kritik. Wären die derben und vulgären Schimpfwörter und Stimmgewalt gefragt, wie etwa im Fußballfanatismus der Fall ist, können die „ehrenvollen Fanatiker“ sicherlich in kürzester Zeit einige Schlägertruppen aufstellen. Nachdenken, pfiffige Ideen finden, kritische Töne schlagen, satirische Konzepte entwickeln, kunstvolle Puppen hauen und dazu noch die Musik  und Tänze in Einklang bringen sind mühsame Schritte für die muslimischen Jugendlichen, um etwa die Politiker/innen raffiniert und scharfsinnig zu kritisieren. Ihnen fällt es anscheinend leichter, wenn man die Vorgehensweise einiger führenden türkischen Politiker verinnerlicht und die politische Elite hierzulande als „Nazis“ beschimpft.

Aufgrund dieser Moral- und Wertvorstellungen ist der Karneval für die muslimischen Migranten in Europa überwiegend ein exotisches und belangloses Ritual, das alleine den europäischen Narren passt. Und die Ausnahmen? Die gibt’s auch. Ein bemerkenswertes Beispiel ist der Orient-Okzident-Express, der als erster von einem Muslim gegründeter Karnevalsverein Deutschlands gilt, aber sich gern offen für alle zeigt. Der muslimische Vorsitzende Ataman Yıldırım und sein jüdischer Vize Amit-Elias Marcus heißen nicht nur die Gläubigen aller Religionen, sondern auch die Atheisten und LGBTQ in ihrem Karnevalverein herzlich willkommen. Während der Toleranzwagen dieser interreligiösen Karnevalisten zum zweiten Mal im Rosenmontagszug rollt, stellen die Wortführer des Orient-Okzident-Express die Zusammenarbeit zwischen den islamischen, katholischen, evangelischen und jüdischen Religionsgemeinschaften in Düsseldorf im Vordergrund. Ob es dieser Versuch mit dem Toleranzlabel innerhalb der Grundschullehre der interreligiösen Zusammenarbeit bzw. des Dialoges bleibt oder dass diese Karnevalisten aus Düsseldorf wagen, mit den dogmatischen Vorurteile und dem religiös bedingten Fanatismus ihrer jeweiligen Religionen ironischerweise auseinanderzusetzen, bliebt es abzuwarten. Die Bemühungen dieser Menschen um den Orient-Okzident-Express sind jedoch tapfere Schritte in die richtige Richtung.

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