Wo fängt psychische Gewalt an, wie entsteht sie und was kann sie für Folgen haben? Die Hirnforschung hat hier neue Entdeckungen gemacht.
Psychische Gewalt hinterlässt sichtbare körperliche Spuren im Gehirn. Sie umfasst viele Definitionen und Formen und hat dementsprechend diverse Therapiemöglichkeiten. Doch die psychische Gewalt verewigt sich in der Seele des Betroffenen.
Im Jahr 2019 stellten die Jugendämter bei 55.500 Kindern und Jugendlichen eine Kindeswohlgefährdung fest. Darüber hinaus stiegen die Fallzahlen im Vorjahr um 10%. Laut Statistischem Bundesamt gab es bei rund einem Drittel Hinweise auf psychische Gewalt an Kindern. Weiter besagt das Statistische Bundesamt, dass jedes zweite betroffene Kind jünger als 8 Jahre alt war. Da die psychische Gewalt in unserer Gesellschaft nicht sensibel genug wahrgenommen wird und das Vergnügen an ihr zu einer rabiaten Gesellschaft passt, die auf Verdrängung ausgerichtet ist, möchte ich in diesem Artikel Kinder als Opfer von psychischer Gewalt thematisieren und ihre möglichen Folgen behandeln. Durch Vernachlässigung und andere Formen psychischer Gewalt entstehen Verletzungen, die Narben hinterlassen. Damit sind nicht nur bildhafte Narben auf der Seele gemeint, sondern reale Verletzungen, die im Gehirngewebe nachweisbar sind. Statistiken weisen mit enorm hohen Zahlen die dringliche Wichtigkeit nach, so soll auch dies erläutert werden und dazu beitragen diese äußerst beunruhigende Thematik im Sinne einer Sensibilisierung unserer Gesellschaft nahezubringen. Psychische Gewalt ist dabei in kleinster Weise direkt zu entziffern, es kann sich um eine wiederkehrende Kränkung, unbegründete Schuldzuweisungen, Drohungen oder in Form von sinnlosen Verboten, Ausgrenzung und Desinteresse auf das Kind projizieren lassen. Sie kann sich sogar als emotionale Kälte auf das Kind auswirken. Im Gegensatz zu körperlicher Gewalt hinterlässt psychische Gewalt keine mit bloßen Augen sichtbaren Spuren. Jedoch finden sich die Hinweise im Verhalten der Kinder wieder. Der Rückzug eines Kindes kann ebenso wie dessen verdeckte oder verdrängte Aggressivität ein Hinweis auf psychische Gewalt sein. Mit Aggression reagiert das Kind auf Bedrohungen. Dies wird fälschlich oft als völlig willkürlicher Gewaltimpuls interpretiert. Fatal sind die Spätwirkungen von Kindheitserfahrungen psychischer Gewalt, denn die frühen Misshandlungen haben maßgeblichen Einfluss auf die Gehirnentwicklung und damit auf den späteren Charakter des Menschen. Stress, Gefühlsverarbeitung und Kontrolle werden negativ beeinflusst. Somit sprechen Psychiater von „Narben im Gehirn“, denn nach den kindlichen Gewalterfahrungen folgt ein Leben in Alarmbereitschaft. Im Gehirn sind emotionaler und körperlicher Schmerz eng verknüpft. Diesen Mechanismus hat die amerikanische Hirnforscherin Naomi Eisenberger entdeckt. Eine mögliche neurobiologische Folge von psychischer Gewalt sind Stressreaktionen, die sich dauerhaft im Emotionssystem und auch neuronal manifestieren können und zu Veränderungen im Gehirn und damit auch im Verhalten führen.
Betül Koç