Auch in Zeiten von Corona begehen ab heute Millionen Muslime den Fastenmonat Ramadan. In dieser Zeit wird von der Morgendämmerung an bis zum Sonnenuntergang komplett auf Nahrungsmittel verzichtet. Das Fasten gehört neben dem Glaubensbekenntnis, dem Gebet, den Spenden und der Pilgerfahrt zu den fünf elementaren Bestandteilen des Islams und ist damit ein essenzieller Bestandteil der islamischen Glaubensausübung.
Es ist ein gesellschaftlicher Akt, an dem Menschen zum gemeinsamen Fastenbrechen (Iftar) und Gebet sowie spirituellen Austausch zusammenfinden. Doch dieser Ramadan wird offensichtlich anders werden. Durch die Einschränkungen im Zuge der Corona-Krise können die Menschen lediglich rudimentär zusammenkommen. Denn Freitagsgebete, das gemeinsame Fastenbrechen in Moscheen sowie die abendlichen Gemeinschaftsgebete, bei dem nach dem Iftar die Menschen in den Moscheen zusammenkommen, um über den Ramadan gemeinsame Aktivitäten auf gesellschaftlicher Ebene auszuüben, finden nicht statt. Auch in Familien wird das Fastenbrechen bescheidener ausfallen. Große Familienzusammenkünfte bergen Infektionsrisiken und sind eine potenzielle Gefahr vor allem für die Großeltern oder chronisch Kranke.
Die Kirche wurde mit diesem Phänomen bereits konfrontiert. An Ostern, dem wichtigsten christlichen Fest, konnten Christen nicht in den Kirchen zusammenkommen. Insbesondere das Eucharistische Mahl, das an das gemeinsame Abendmahl Jesu Christi erinnert, ist ein zentrales gemeinschaftliches Element des christlichen Glaubens. An Tagen wie diesen zeigt sich in den ansonsten leeren Kirchen eine starke Anwesenheit an Kirchenbesuchern, die die Bedeutung des Eucharistischen Mahls unterstreichen. Damit konnte ein wichtiger Aspekt der gemeinschaftlichen Ausübung des christlichen Glaubens nicht praktiziert werden.
Das gleiche Schicksal wird jetzt auch Muslimen widerfahren. Zwar fastet jeder für sich, doch ist die intensivere Auseinandersetzung mit dem Glauben jedes Einzelnen mehr als die Summe seiner Individuen. Es eröffnet eine religiöse Ebene des Gemeinschaftsgefühls. Seien die Motive des Einzelnen noch so unterschiedlich, so entsteht aus dem Kampf gegen das Verlangen nach Nahrung, den weltlichen belanglosen Trieben sowie aus der spirituellen Auseinandersetzung mit der Religion ein zusammenschweißender Akt, der als etwas außergewöhnliches erlebt wird und sich durch die Freude des Fastenbrechens mit Familie und Freunden in Moscheen als ein gemeinsames spirituelles Erleben ausdrückt. Vor allem das Zuckerfest, die nächtlichen Gebete und Familienbesuche zum Iftar sind elementare Zusammenkünfte, dessen Fehlen für die Gemeinde zu spüren sein wird. Auch der alltägliche Austausch von Gedanken und Gefühlen zwischen Muslimen zu dieser speziellen Zeit und das belebte und doch besonnene Treiben in den Moscheen wird fehlen. Des Weiteren sind einige Moscheen um Spenden und Almosengaben besorgt, die oft Bedürftigen und kleinen spendenfinanzierten Moscheen selbst zugutekommen. Das Erfolgserlebnis jedes Einzelnen, bei all dem Kampf gegen die schlechten Angewohnheiten und die Müdigkeit, die mit dem Fasten einhergeht, und das gemeinsame Streben nach einem höheren spirituellen Ziel, findet dieses Jahr weit weniger Ausdruck durch die Gemeinschaft. Dadurch wird das aus der gemeinschaftlichen Glaubensausübung resultierende besondere Gemeinschaftsgefühl schwerer einzufangen sein.
Wie die Corona-Krise auch die muslimische Gemeinschaft verändern wird und welche Lehren aus ihr gezogen werden, die sich letzten Endes in den Handlungen der Muslime niederschlagen, wird nach Krise sichtbar werden.