Zum Festakt der Deutschen Einheit erinnerten Politiker in Kiel an die Lebensleistung der Ostdeutschen und forderten Mut, Anerkennung und Engagement, um den Prozess der Wiedervereinigung abzuschließen. Die, nach dem Zusammenbruch der DDR, neu gegründeten ostdeutschen Bundesländer waren am 3. Oktober 1990 der Bundesrepublik Deutschland beigetreten.
Die Wiedervereinigung sei nicht einfach gewesen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), zur Einheitsfeier zum 29. Jahrestag der Deutschen Einheit in Kiel. „Auf die Last der Teilung folgte die Wucht der Einigung“, so die Bundeskanzlerin.
Zwar sagte die Kanzlerin, dass „unglaublich viel erreicht“ worden sei und viele Deutsche „mit ihrem Leben insgesamt zufriedener als zu jedem anderen Zeitpunkt nach der Vereinigung“ seien, doch sie erinnerte auch an die fortwährenden Unterschiede zwischen Ost und West. Im Westen hätten die meisten Menschen die Wiedervereinigung als Zuschauer erlebt, sagt die Kanzlerin am Tag der Einheit. Den Osten habe dagegen „die Wucht der Einigung“ getroffen.
Die Mehrheit der Ostdeutschen in der Bundesrepublik fühlen sich nach 29 Jahren Wiedervereinigung immer noch „als Bürger zweiter Klasse“. Sie empfinden weder Anerkennung für die Entbehrungen nach der Wiedervereinigung noch für die Lebensleistung vor- und nach der Wende. So sei nach Merkel die Wiedervereinigung ein fortwährender Prozess und ständiger Auftrag und warb für mehr Engagement und Anerkennung, denn „als Bürgerinnen und Bürger in der Demokratie haben wir alle eine Verpflichtung“.
Merkel warnte, „die Ursache für Schwierigkeiten und Widrigkeiten vor allem und zuerst beim Staat und den sogenannten Eliten“ zu suchen, „denen man sowieso nicht glauben könne und die dem Einzelnen irgendwie nur im Wege sind“. Sie ermahnte, dass diese Haltung nicht auf andere Menschen projiziert werden dürfe und forderte ein klares Nein zu Intoleranz, Antisemitismus und Ausgrenzung von Minderheiten. Dem schloss sich der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein Daniel Günther (CDU) an, der als Bundesratspräsident den Festakt ausrichtete. Dabei wünschte er sich „mehr Platz für die ostdeutschen Aspekte unserer deutschen Geschichte“ und auf westdeutscher Seite mehr Sensibilität und Verständnis. Er zollte den Bürgern der DDR Anerkennung und Respekt für ihren Mut auf die Straße zu gehen und die Wiedervereinigung auf friedliche Weise erlangt zu haben. Diesbezüglich rief der scheidende Bundesratspräsident dazu auf, „selbst wieder etwas mutiger zu werden“, sich „nicht von Zukunftsangst überwältigen zu lassen“ und in Diskussionen dagegenzuhalten und aufeinander zuzugehen.
Während CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer bei einer Kundgebung im ehemals geteilten Dorf Mödlareuth an der Grenze zwischen Bayern und Thüringen die AfD als „scheinbürgerliche Fraktion“ und Verweigerer angriff, warf Daniel Günther (CDU) der AfD in Bezug auf deren Wahlprogramm „Wende 2.0“ indirekt vor, die Leistungen der demokratischen Aktivistinnen und Aktivisten in der DDR zu verhöhnen. Es sei „eine Verhöhnung der Leistungen dieser Menschen, wenn Parteien diesen Mut heute für ihre parteipolitischen Zwecke missbrauchen, indem sie von der Wende 2.0 reden“.
Der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen erklärte in einer Video-Botschaft zum Tag der Deutschen Einheit: „Lassen Sie uns gemeinsam dafür Sorge tragen, dass die großen Errungenschaften unserer freiheitlichen Demokratie gegen ihre zahlreichen Feinde nicht verloren gehen.“ Meuthen erklärte, das Ostdeutsche auf Versuche von Politik und Medien „ihre Freiheit zu beschneiden“ besonders allergisch reagieren.
Heimatminister Horst Seehofer (CSU) sagte in einem Interview mit der Bild am Sonntag, dass er sich „vor dem Mut der Ostdeutschen“ verneige und dass der „Mauerfall diesen Menschen, die bei der friedlichen Revolution eine riesige Courage bewiesen haben“ zu verdanken sei. Es sei wichtig „in Erinnerung zu rufen, was die ostdeutsche Bevölkerung geleistet hat“, sagte der Innenminister. Weiter zeigte er sich zuversichtlich, dass binnen zehn Jahren die Strukturunterschiede zwischen Ost und West beseitigt sein werden. „Wir gehen von einem Jahrzehnt aus, bis wir gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland haben“. Eine „gute Infrastrukturpolitik“ könne den Menschen „Perspektiven für ihre Zukunft aufzeigen“. So würden die Ängste vor der Zukunft reduziert, mit denen die AfD die Menschen emotionalisiert und polarisiert.