Wie die meisten Medien in Deutschland am vergangenen Dienstag berichteten, haben Hilfsorganisationen Oxfam und WeMove Europe an der Tür der Europäischen Kommission geklopft, um Beschwerde über den unrechtmäßigen Umgang Griechenlands mit Flüchtlingen einzulegen. Ein sehr kluger Schachzug und das perfekte Timing der bekannten NGO`s: Denn selbst die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, hat bei ihrer Rede zur Lage der Union am 16. September 2020 auf „die schmerzhaften Bilder aus dem Lager in Moria“ aufmerksam gemacht und „ein gemeinsames Pilotprojekt mit der griechischen Regierung für ein neues Lager auf Lesbos“ verkündet. Im Vorfeld des „Neuen Migrationspakts der Kommission“ machte offenbar aus der Sicht der Hilfsorganisationen auch einen Sinn, den Gesetzesbrecher Griechenland beim Namen zu nennen.
Obwohl die Migration und die damit verbundene Flüchtlingspolitik ein europäisches Dilemma ist und Griechenland mit diesem Problem stark konfrontiert wird, rechtfertigt nichts davon die rigorose Flüchtlingspolitik der Regierung in Athen. Sowohl die etlichen Hilfsorganisationen als auch das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) sind fast davon überzeugt, dass Griechenland durch die merkwürdigen Mittel die Flüchtlinge abzuschrecken versucht. Dass die griechische Küstenwache die Flüchtlingsbote mit Lanzen sticht und sie in Richtung Türkei zurückdrängt oder diese Menschen sogar aus den sicheren Boten zurück auf das Wasser wirft, ist kein Geheimnis mehr. Dieser sogenannte “Push-Back” kann aber kein legitimes Mittel eines EU-Mitglieds, sondern ein mafiöser Gewaltakt sein, um die Flüchtlinge ohne Berücksichtigung des geltenden EU-Rechts und der internationalen Verträge zurückzudrängen. Noch schlimmer: Ermutigt durch die Politik ihrer Regierung fühlen sich viele nationalistisch gesinnten Griechen unmittelbar veranlasst, die Flüchtlinge auf den Inseln oder auf dem Festland schlecht zu behandeln. Kurzum: Die aktuelle Flüchtlingspolitik der griechischen Regierung hat weder mit den Werten und Richtlinien der EU noch mit den sonstigen Verträgen der zivilisierten Welt zu tun. Im Gegenteil: Die Handlungen Griechenlands sind klare Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (1953/2013) und die Genfer Flüchtlingskonvention (1951/67). Was in den EU-Gewässern unter den Augen der FRONTEX- Einheiten und der griechischen Regierung passiert, ist auch mit dem Übereinkommen zur Seenotrettung (1979) und sogar mit dem UN-Seerechtsübereinkommen (1982) nicht vereinbar.
In Folge ihrer eigenmächtigen Methoden machen die Griechen nicht nur das Image ihres Landes kaputt, sondern torpedieren auch das mühsam entwickelte Wertekanon der EU. Dass die EU die griechische Regierung im Streit mit der Türkei um die maritime Grenzziehung den Rücken stärkt und die Mitgliedstaaten Zypern und Griechenland beim Konflikt im östlichen Mittelmeer stets „die volle Solidarität Europas“ zusichert, interpretieren die Griechen völlig falsch und sehen das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei als „Grundlage“ für ihre schikanierende Behandlung von Migranten. Die demokratischen Defizite in der Türkei hin oder die Problemen beim Flüchtlingsdeal mit Ankara her, aber eins ist sicher: Die Türkei geht mit 4,1 Millionen Flüchtlingen und Asylsuchenden (UNHCR, Dezember 2019) viel humaner um als das EU-Mitglied Griechenland, der ein miserables Bild von gerade mal 115.000 Flüchtlingen und Migranten (UNHCR, Januar 2020) auf seinem Territorium abgibt.