Nicht-Integrierte bauen eine ‘‘Parallel-Gesellschaft‘‘ auf

September 7, 2019
von
Bild: Buket Güney

Welcher Flüchtling hätte einen Gedanken daran verschwendet, einst die eigene Heimat verlassen zu müssen, um in einem fremden Land Halt zu suchen, dessen Sprache man nicht spricht, Kultur und Tradition unbekannt sind und in der man sogar Kinder zur Welt bringt?

Es gibt Vereine, die ihre Türen den Neuankömmlingen öffnen und ihnen bei der Integration Unterstützung bieten. Sie helfen ihnen die deutsche Sprache zu lernen, sich der Gesellschaft anzupassen und die Stadt, in der sie leben, besser kennenzulernen. Wir haben uns mit einem aktiven Mitglied eines solchen Vereins unterhalten.

Margit Jung war 15 Jahre Leiterin einer christlich-muslimischen Frauengruppe ihrer katholischen Gemeinde in Bottrop. Sie ist Mitglied im Stadtrat und ist im Vorstand der Kolpingfamilie Bottrop-Mitte. Sie ist den Flüchtlingen sehr nahe und kennt ihre Probleme sehr gut.

Wir haben uns mit Margit Jung über die Wahrnehmung der Einwanderer in Deutschland und ganz besonders über die Probleme der Frauen unterhalten. Sie hat uns berichtet, wie sie mit ihren Projekten den Einwanderern geholfen haben, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Und welche Hindernisse die Einwanderer beim Erlernen der Sprache überwältigen müssen.

Andererseits herrscht in Deutschland die Angst, dass sich die Länder zu sehr davon beeinflussen lassen. Laut Jung muss man das Thema sehr ernst nehmen. Dies kann zu Auseinandersetzungen führen. Sie betont, dass die deutsche Gesellschaft sich von ihren Werten entfernt. Es ist merkwürdig, dass die Gesellschaft die Schuld bei den anderen sucht und die Flüchtlinge dabei als den ‘‘Sündenbock‘‘ betiteln.

Was ist wichtig für einen Einwanderer, um sich leicht in die fremde Gesellschaft zu integrieren?

M. Jung: Nachdem dem Flüchtling der Aufenthalt gewährt wurde, folgt ein Verfahren. Wenn dies beendet ist, dass beginnt der Sprachkurs. Jede Person jeden Alters muss als erstes die Sprache lernen. Das ist für den einen oder anderen ein schwerer Prozess. Es ist aber unmöglich mit den Menschen in Kontakt zu kommen, wenn man die Sprache nicht spricht. Nach dem Erlernen der Sprache folgt die Integration in die Gesellschaft. Zum Beispiel bekommen die Menschen, die die deutsche Sprache nicht sprechen von den Themen nichts mit, worüber in Deutschland diskutiert wird.

Das nicht Sprechen der Sprache ist das wichtigste Hindernis

 M. Jung: Auf jeden Fall. Wenn die Menschen nicht mit anderen in Kontakt kommen, dann bilden sie eine isolierte Gesellschaft. Mit anderen Worten gründen sie eine parallele Gesellschaft. Wir haben zum Beispiel in unserer Stadt eine Straße, wo vor vielen Jahren die Gastarbeiter gelebt haben. Sie haben sich mit ihren eigenen Supermärkten und Metzgereien eine kleine Türkei gegründet und leben dort.

Was ist unter Integration zu verstehen? Reicht es die Sprache zu lernen und danach sofort zu arbeiten?

M. Jung: Integration hat viele verschiedene Definitionen. Um sich zu integrieren muss man seine Beziehung zu seinen Nachbarn verbessern. Die Einwanderer brauchen einen Freundeskreis und müssen die Stadt, in der sie leben gut kennen.

Um das zu erreichen, braucht die Person gute Deutschkenntnisse. Sie sollte zum Beispiel ihre eigenen Angelegenheiten selbst erledigen können. Das führt zu einer erfolgreichen Integration. Diese Person muss auch die andere Kultur gut kennen.

Ansonsten treten häufig die Fragen auf ‘‘Wieso trinken die Bier? essen Schweinefleisch?‘‘. Die Städte geben mit kulturell geprägten Organisationen die Möglichkeit, die andere Kultur kennenzulernen. Da können die Einwanderer teilnehmen. Sie können auch ein aktives Mitglied in einem Verein werden.

Ich lese gerne Zeitung. Wir müssen uns bewusst sein, was in der Stadt vor sich geht. Die Sprache zu lernen und danach sofort zu arbeiten reicht natürlich nicht aus, um sich zu integrieren. Wenn man sein Umfeld nicht ändert und aus sich herausgeht, dann kann man sich nicht der Gesellschaft anpassen.

Welche Projekte machen sie als Verein für die Frauen?  

M. Jung: Wir haben regelmäßige Treffen und behandeln gemeinsam ein Thema. Besonders über die Stadt, in der wir leben. Wir unterhalten uns zum Beispiel über die Nachbarschaft. Die, die neu nach Deutschland hergezogen sind stellen sich erstmal vor. Ich habe mitbekommen, dass es in der Türkei umgekehrt ist. Dort kommen die Nachbarn zu einem, um ihn kennenzulernen.

Wenn diese Unterschiede nicht klar gemacht werden, dann lernen sich die Nachbarn gar nicht kennen. Aufgrund der verschiedenen Kultur fällt es nicht leicht Kontakt zu den anderen aufzubauen. Abgesehen davon unterhalten wir uns über die Frauenrechte. Beide Seiten versuchen sich zu verstehen. Um uns besser zu verstehen, müssen wir die andere Kultur kennenlernen.

Mit welchen Problemen werden die Frauen konfrontiert?   

M. Jung: Die meisten von denen haben sich nicht integriert, weil sie nicht lange hierbleiben wollten. Das hat auch die beeinflusst, die danach nach Deutschland kamen. Das war eigentlich ein Hindernis für ihren eigenen Fortschritt. Die Frauen, die sich integrieren wollten wurden von ihren Verwandten und Bekannten eingeschüchtert. Ich möchte gerne von einem Fall berichten, den ich erlebt habe. Es kam mal eine Frau nach Deutschland. Sie war offen für Neues. Sie wohnte bei der Familie ihres Mannes. Die Familie hat die Frau sehr eingeschüchtert und dadurch konnte sie sich nicht anpassen.

Das Kopftuch kann für einige Frauen zum Problem werden. In unserem Frauenkreis haben wir eine Lehrerin. Sie hat einen Lebenslauf angefertigt, kriegt aber andauernd Absagen. Die Arbeitgeber in Deutschland fordern viele detaillierte Informationen im Lebenslauf. Wir haben ihr bei der Anfertigung ihres Lebenslaufes geholfen. Aber das Problem war eigentlich nur ihr Kopftuch. Auch wenn es erlaubt ist in Deutschland ein Kopftuch zu tragen, entscheidet der Arbeitgeber im Endeffekt, ob er eine Arbeitnehmerin mit einem Kopftuch einstellt. In den Schulen können es die Schuldirektoren entscheiden. Dieselbe Frau hat sich danach ohne Kopftuch beworben und hat Zusagen bekommen. Bei diesem Thema gibt es Vorurteile.

Aktivisten sagen, dass Einwanderer-Frauen in der Gesellschaft und in der Arbeitswelt diskriminiert werden. Stimmen Sie dem zu? 

M. Jung: Wenn man in einem guten Job arbeiten möchte, dann muss man gute Deutschkenntnisse vorweisen können. Jemand, der seinen erlernten Beruf hier fortsetzen möchte, kann es hier tun. Sie kann aber Schwierigkeiten bekommen, aufgrund ihres Aussehens. Denn das Kopftuch ist in Europa fremd. Zum Beispiel ist es unmöglich mit einem Kopftuch in der Regierung eine Stelle zu bekommen.

Frauen arbeiten überwiegend in Putzstellen. Ist es eine bewusste Entscheidung?

M. Jung: Da der Lohn in diesem Bereich gering ist, ist es leicht eine Stelle zu bekommen. Es fordert auch keine guten Sprachkenntnisse. Das Aussehen spielt auch keine Rolle. Man kann in der Heimat einen guten Job haben, aber wenn man hier nicht die Sprache sprechen kann, dann hat man nicht viele Möglichkeiten.

Denken Sie, dass die neue Generation der Einwanderer noch mehr danach strebt, sich in Deutschland zu integrieren?

M. Jung: Nein

Welche Vorstellung haben die Deutschen in ihren Köpfen von Einwanderer?

M. Jung: Die fremden Menschen erzeugen eine Angst bei den Deutschen. Natürlich sind sie gezwungen hier in Deutschland zu leben, aber die Deutschen fürchten sich vor einer Entfremdung ihres Heimatlandes. Weil sie die Einwanderer nicht gut genug kennen, haben sie Schwierigkeiten den Kontakt zu ihnen aufzubauen.

Wie wirkt sich diese Angst bei den Einwanderern aus?

M. Jung: Wir müssen diese Angst ernst nehmen, denn sie kann zu Auseinandersetzungen führen. Die Deutschen haben Angst, dass sich ihr Heimatland verändert. Sie haben Angst davor, dass ihre Frauen auch eines Tages Kopftücher tragen werden. Aber unser Deutschland wird sich verändern. Viele verschiedene Kulturen leben miteinander. Wir sind ein christliches Land, was an seine Werte gebunden ist. Leider verlieren wir im Laufe der Zeit an unseren Werten. Wir sehen uns selbst nicht in der Schuld und suchen deswegen einen Sündenbock. Die Auseinandersetzungen fangen genau an diesem Punkt an. In der Tat sind wir es, die ihre religiösen Werte nicht aufrechterhalten.

Bericht: Buket Güney

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