Vom Sinn und Unsinn des Bürgergelds

August 22, 2024
Auf dem Foto ist das Gebäude einer Filiale der Agentur für Arbeit zu sehen.
Bild: andreas160578 CC0 2.0 by Pixabay.

Im Juli diesen Jahres gab es laut Bundesagentur für Arbeit 703.000 offene Stellen. 30% der Ausbildungsplätze blieben unbesetzt, weil es keine geeigneten Bewerberinnen gab. Aber 5,5 Millionen Menschen beziehen Bürgergeld. Im März dieses Jahres wurde von der Bundesagentur für Arbeit ein Kontingent von 25.000 Personen festgesetzt, die als Hilfsarbeiterinnen nach Deutschland kommen sollen. Wie passt das zusammen?

Diese Menschen beziehen Bürgergeld

Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) können von den 5,5 Millionen Bürgergeld-Bezieherinnen nur 1,7 Millionen Bezieherinnen arbeiten. Was ist mit den restlichen Bezieherinnen? Es sind Kinder, Jugendliche und Menschen, die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, weil sie krank sind oder bereits eine Arbeit haben, aber aufstocken müssen, weil sie so wenig verdienen. Außerdem gehören Alleinerziehende dazu, die Sorgearbeit und Beruf nicht unter einen Hut bekommen, weil es zu wenig Betreuungsplätze gibt. 

Bild: succo CC0 2.0 by Pixabay.

Wer ist eigentlich betroffen von der Bürgergeld-Diskussion?

Die bundesweite Diskussion über das Bürgergeld betrifft insgesamt 1,7 Millionen Menschen. Diese Menschen müssen jetzt damit rechnen, dass sie eventuell in Arbeitsverhältnisse gezwungen werden, für die sie nicht geeignet sind. Menschen können aus körperlichen, geistigen oder familiären Gründen für eine spezifische Arbeit nicht geeignet sein.

An diesem Punkt stellt sich die Frage: Geht es um Arbeitszwang oder sollen die 1,7 Millionen Menschen langfristig arbeiten? Denn, wer in eine Erwerbstätigkeit gezwungen wird, die nicht passt, hat keine langfristigen Chancen. Körper und Psyche versagen und schließlich folgt die Entlassung.

Wo die Reform des Hartz IV ansetzt

Hartz IV wurde weiter entwickelt und reformiert, damit Menschen eine dauerhafte und realistische Perspektive haben. Der Vermittlungsvorrang wurde abgeschafft zugunsten der Möglichkeit für Betroffene, sich neu zu orientieren, zu qualifizieren und eine passende Arbeit zu finden. 

Flucht und Arbeitslosigkeit

Fast die Hälfte der Bürgergeld-Bezieherinnen kommt aus dem Ausland. Laut DIW bezogen 722.000 Ukrainer im März 2024 Bürgergeld und mehr als 200.000 davon sind Kinder. Ca. 320.000 davon sind in einer Ausbildung, in der Schule, in einer Umschulung oder in einer Eingliederung in einen Betrieb oder sie sind Aufstockende, die zu wenig verdienen. Als arbeitslos gelten 186.000 ukrainische Geflüchtete. 

Bild: This_is_Engineering CC0 2.0 by Pixabay.

Geflüchtete möchten arbeiten

Die Mehrheit der Geflüchteten möchte arbeiten und ein Teil der Gesellschaft werden. Allerdings haben sie mit zahlreichen Hürden zu rechnen: die Anerkennung von Qualifizierungen, Sprachkenntnisse und Wohnsitzauflagen. Auch struktureller Rassismus spielt eine Rolle. Dr. Nicolau Huke von der Universität Tübingen sagt: „Die Arbeitssuche von Flüchtlingen wird dadurch [durch strukturellen Rassismus] teilweise massiv erschwert.“

Was sind die Probleme der Bürgergeld-Bezieherinnen?

Warum sind 1,7 Millionen Menschen arbeitslos? Mit welchen Schwierigkeiten habe sie zu kämpfen, um auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen?

Knapp zwei Drittel der 1,7 Millionen arbeitsfähigen Bürgergeld-Empfängerinnen haben keinen Berufsabschluss. Viele von ihnen haben nicht einmal eine Schulausbildung. Zudem haben die meisten von ihnen gesundheitliche Probleme. Diese Menschen werden von Arbeitgeberinnen nicht eingestellt, weil sie Kostenfaktoren darstellen. Die Kosten und die Risiken sind zu groß. 

Für wen läuten die Glocken des Sozialstaats?

Haben Bürgergeld-Empfängerinnen am Ende des Monats mehr Geld in der Tasche? Von den 1,7 Millionen im Prinzip arbeitsfähigen Bürgergeld-Bezieherinnen gibt es 16.000 Totalverweigerer laut DIW. Das DIW sagt aber auch, dass das Bürgergeld so knapp berechnet ist, dass Bürgergeld-Empfängerinnen in Armut leben. 

Knapp 13 Millionen Menschen in Deutschland leben unter der Armutsgrenze, darunter Bürgergeld-Empfängerinnen. Denn die Berechnung des Bürgergelds ist mit der Lohnentwicklung im Niedriglohnsektor verbunden. Laut dem Bundesverfassungsgerichts gehört es zur Pflicht des Staates und der Gesellschaft, dass die Menschen mit einem angemessenen Existenzminimum leben. 

Wozu Sozialstaat?

Ein starker Sozialstaat stärkt die Demokratie und die Rechte der Menschen. Arbeitnehmerinnen brauchen Unterstützung bei Krankheit und bei Arbeitslosigkeit. Die meisten Menschen erleben Arbeitslosigkeit immer noch als Stigma. Laut DIW schämen sich 42% der Langzeitarbeitslosen dafür Arbeitslosengeld II zu empfangen. 

Bild: StockSnap CC0 2.0 by Pixabay.

Bürgergeld-Kürzungen führen zur schlimmeren Kinderarmut

Bürgergeld-Bezieherinnen mit Kindern stünde im Falle einer Kürzung noch weniger Geld zu Verfügung und sie müssten das wenige Geld für die Kinder aufteilen. Freizeitgestaltung und Mitgliedschaften rücken für diese Kinder in weite Ferne. Stattdessen schweben sie in der Gefahr Entwicklungsstörungen zu haben. 2,1 Millionen Kinder waren 2023 armutsgefährdet. 

Macht Armut kriminell? Ja!

Wenn das Geld nicht reicht und wenn das ohnehin knapp berechnete Bürgergeld gekürzt wird, steigt die Diebstahlrate. Menschen rutschen ab und in die Kriminalität. Es folgt der Freiheitsentzug. Die Zahl von ehemals Inhaftierten steigt und diese haben es noch schwerer Arbeit zu finden. 

Das können Arbeitsagentur und Jobcenter machen

In Österreich ist es gängige Praxis, dass Mitarbeiterinnen des Arbeitsmarktservice (AMS) Arbeitgeber besuchen und dabei unterstützen Mitarbeiterinnen zu finden. Das ist ein Modell, dass auch die Arbeitsagentur und Jobcenter hierzulande übernehmen können. Nicht genug Mitarbeiter in der Arbeitsagentur oder im Jobcenter? Dann müssen mehr Menschen auch dort eingestellt werden, was sich langfristig allemal lohnt. 

Zu sagen ist schließlich: Kürzungen des Bürgergelds sind drastische Einschnitte in die Leben von Menschen, die ohnehin sehr arm sind. Wichtige Probleme bei der Arbeitsfindung sind fehlende Betreuungsplätze, struktureller Rassismus im Bewerbungsprozess, fehlende Qualifikationen der Bewerberinnen und die damit verbundenen Kosten für die Arbeitgeber, die sie nicht auf sich nehmen möchten, weil die Einarbeitungszeit zu lange dauert. 

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