Bei der Bekämpfung von Fluchtursachen kommt der Entwicklungspolitik eine wichtige Rolle zu. Ist das wirklich so? Und bedeutet Entwicklungspolitik heutzutage nicht vor allem, dass demokratische Werte vermittelt werden sollten? Können demokratische Werte vor Krieg und politischen Krisen schützen? Die Idee eine Bleibeperspektive zu schaffen, um Fluchtursachen zu bekämpfen, ist nicht neu. Tatsächlich kam sie bereits in den 1980er Jahren auf und hatte in den 1990er Jahren ein Wiederaufleben.
In der wissenschaftlichen Analyse von Benjamin Schraven aus dem Jahr 2019 heißt es, die Migration steige in Ländern, in denen der Wohlstand und die Entwicklung voran schreiten. Die Studie ist interessant, weil sie vor dem Angriffskrieg auf die Ukraine verfasst wurde. Viele Ukrainerinnen waren gezwungen ihre Heimat zu verlassen. Gezwungen sind auch viele Menschen aus Syrien und anderen Ländern ihre Heimat zu verlassen. Und die Krise in Syrien begann schon vor der Veröffentlichung der Studie von Benjamin Schraven. Was in dieser Debatte immer wieder vergessen wird: Es geht um Menschen und für flüchtende Menschen geht es ums pure Überleben.
Flüchten bedeutet eine gefährliche Reise, eine gefährliche Reise steht für eine ungewisse Ankunft. Nicht gerade eine Urlaubsreise, die jemand glücklich antritt. Die Grünenmitglieder haben recht, wenn sie den aktuellen Asylkurs der Bundesrepublik als erschütternd bezeichnen. Der heutige EU-Gipfel ändert nichts an der neuen Reform des europäischen Asylrechts und Deutschland rührt keinen Finger, um das zu ändern. Durch die neue Reform sollen Neuankömmlinge in haftähnlichen Verhältnissen auf ihr Verfahren warten. Aktuell dauert das Verfahren 4 Wochen, das soll mit der Reform bis zu 12 Wochen dauern. 12 Wochen unschuldig in Haft ist eine lange Zeit, zumal sich anschließend das Abschiebungsgrenzverfahren bis zu 18 Monaten erstrecken kann. Die EU hat eine Reform verabschiedet, die es ermöglicht Hilfesuchende bis zu zwei Jahren an den Grenzen festzuhalten. Unschuldig und im Gefängnis sollen sie verharren. Für Kinder gibt es keine Ausnahme. Das Verfahren soll nur für Menschen aus sicheren Herkunftsländern gelten? Laut ProAsyl werden Menschen, die über die Türkei aus Syrien flüchten in die Türkei abgeschoben. Denn die Türkei gilt als sicheres Herkunftsland. Tatsächlich ist das Herkunftsland aber nicht die Türkei, sondern Syrien. So leicht werden Menschen entrechtet.
Doch welche Rolle spielt eigentlich die Türkei? Griechenland sieht die Türkei als sicher an. Ein sicheres Herkunftsland ist die Türkei auf keinen Fall sagt ProAsyl. Aktuell ist die Türkei das Freilichtflüchtlingsheim der EU. Noch einmal zur Erinnerung: Am 7. März 2016 hat sich die Türkei bereit erklärt Flüchtende, die in türkischen Gewässern aufgegriffen werden oder die über die Türkei nach Griechenland geflüchtet sind zurückzunehmen. Dabei geht die EU wie selbstverständlich davon aus, dass diese Flüchtenden keinen internationalen Schutz benötigen. ProAsyl warnt, dass die EU das individuelle Recht auf Asyl verkennt. Durch die Reform können Schutzsuchende aus „Nichtkriegsgebieten“ einfach zurückgeführt werden. Das geht auch wenn sie vulnerablen Gruppen angehören, die Verfolgung und gesundheits- und lebensgefährdenden Bedingungen ausgesetzt sind.
Auf der Seite des Europäischen Rats wird der EU-Türkei Deal von 2016 wie eine positive und vorübergehende Maßnahme beschrieben: „Es handelt sich hierbei um eine vorübergehende und außerordentliche Maßnahme, die zur Beendigung des menschlichen Leids und zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung erforderlich ist.“ Wir sehen, dass sich der Deal seit 2016 auf das menschliche Leid in Kriegs- und Krisengebieten nicht ausgewirkt hat. Noch hat der Deal die öffentliche Ordnung wiederhergestellt. Das Abkommen ist gescheitert und führt dazu, dass Schutzsuchende auf den griechischen Inseln systematisch ihrer Rechte beraubt werden.
Bisher hat die EU auf eine harte Grenzpolitik gesetzt und Autokraten geduldet. Die Beitrittsverhandlungen oder besser das Beitrittsversagen von Schweden und Finnland zur NATO zeigen nur zu deutlich, wie sich Autokratie in einem Land, in diesem Fall ist es die Türkei, auf andere Länder auswirkt. Auch der Ukraine-Konflikt hat gezeigt, dass es keine Option ist Autokraten zu dulden. Autokraten zu dulden bedeutet sie zu legitimieren und das stärkt sie im Endeffekt. Wenn menschenrechtliche und demokratische Standards in unwürdige Bedingungen münden, dann führt das zu weiteren Konflikten, Repressionen und schließlich zu fragiler Staatlichkeit warnt Benjamin Schraven in seiner Studie. Daher sollte es eines der Hauptinteressen der EU sein aktiv die Demokratie zu fördern. Und zwar auch in Ländern, die nicht zu der EU gehören. Was sonst passiert haben wir alle miterlebt und niemand ist mit der massenhaften Flucht vor Krisen zufrieden. Eine geflüchtete Frau sagte mir kürzlich, dass ihr die lokalen Tomaten in ihrer Heimat am besten schmecken. Die vermisst sie am meisten. Sie wäre viel lieber in ihrem Zuhause, aber menschenunwürdige Bedingungen lassen das nicht zu.
Quellen:
Benjamin Schraven: Fluchtursachenbekämpfung: Die deutsche Debatte:
https://www.ifri.org/de/publications/notes-de-lifri/notes-cerfa/fluchtursachenbekampfung-die-deutsche-debatte Zugriff am 30.06.2023 um 15:30 Uhr
Europäischer Rat, Pressemitteilung vom 18. März 2016
Erklärung EU-Türkei, 18. März 2016, Zugriff am 30.06.2023 um 19:30 Uhr:
https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2016/03/18/eu-turkey-statement/
Auf beiden Seiten der Ägäis: EU-Türkei-Deal liegt in Trümmern, ProAsyl, Zugriff am 30.06.2023 um 17:00 Uhr
https://www.proasyl.de/news/auf-beiden-seiten-der-aegaeis-eu-tuerkei-deal-liegt-in-truemmern/